Wertequadrat bzw. -trapez

verfasst von Prof. Dr. H. Geißler  am 10.12.2021

Im Anschluss an die Arbeiten von Friedemann Schulz von Thun (1989) kann man davon ausgehen, dass das Denken, Fühlen, Wollen und Handeln von Menschen durch übergeordnete Werte gesteuert wird. Dabei tritt in der Regel das Problem auf, dass es nicht nur ein einziger Wert ist, der das psychische System des Einzelnen steuert, sondern eine komplexe Gemengelage verschiedener Werte, die untereinander durchaus auch in Spannung stehen. 

Diese Spannungen können produktiv sein, indem sie der psychischen Entwicklung wertvolle Impulse geben. Aber sie können auch problematisch sein, weil sie zu Reibungen und Blockaden führen und die Erreichung bestimmter Ziele erschweren oder sogar verhindern.

Vor diesem Hintergrund ist es im Coaching sinnvoll zu prüfen, ob bzw. wie weitgehend die letztliche Ursache für die Probleme, unter denen Coachees leiden, darin besteht, dass bestimmte Werte sich gegenseitig blockieren und deshalb eine Lösung verhindern.

Folgt man diesem Gedanken, ist eine wertrationale Analyse sinnvoll. Ihr erster Schritt muss darin besteht, zunächst einmal die Werte zu ermitteln, die bei einer bestimmten Problematik im Spiel sind, und dabei zu prüfen, ob es zwei Werte gibt, die sich sozusagen als Antipoden gegenläufig positionieren und sich deshalb gegenseitig ausschließen und vielleicht sogar "bekämpfen". Ein Beispiel hierfür wäre der Konflikt zwischen "Geiz" und Verschwendungssucht. 

Um die Problematik derartiger Gegensätzlichkeit zu lösen, schlägt Schulz von Thun vor, in einem zweiten Problemlösungsschritt das jeweils Positive zu rekonstruieren, das in den gegensätzlichen Werte steckt und in diesem Sinne den vorliegenden Konflikt zu deeskalieren. Mit Bezug auf das hier gewählte Beispiel wäre das Ergebnis einer solchen Deeskalation die produktive Spannung zwischen Sparsamkeit und Genuss.

In ähnlicher Weise wäre das konflikthafte Gegensatzpaar von "Angst" und "Tollkühnheit" zu transformieren in die produktive Spannung von "Sorge" und "Mut".

Diese Erkenntnisse sind die Grundlage der Problemlösungs-Heuristik des sog. Coaching Solution Finders.

  

Literatur

Geißler, H. (2018). Organisationspsychologie III - Grundlagen Coaching. Was ist Coaching? Hamburg: Hamburger Fern-Hochschule

Geißler, H. & Rödel, S. (2023). Praxishandbuch professionelles Online-Coaching. Weinheim, Basel: Beltz.

Schulz von Thun, F. (1989). Miteinander reden. Bd. 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek: rororo